Mensch, Mythos, Welt

Pablo Picasso und Max Beckmann im Von der Heydt-Museum Wuppertal

von Johannes Vesper

Blick in die Ausstellung - Foto © Frank Becker

Mensch, Mythos, Welt:
 
Pablo Picasso und Max Beckmann im Von der Heydt-Museum Wuppertal
 
Von Johannes Vesper
 
Diese beiden wahrscheinlich wichtigsten Protagonisten der gegenständlichen Malerei des 20. Jahrhunderts haben insofern eine besondere Beziehung zu Elberfeld, als das von der Heydt-Museum 1911 als erstes Museum weltweit ein Werk von Pablo Picasso (1881-1973) angekauft hat („Akrobat und junger Harlekin“) und Max Beckmann (1884- 1850) schon 1914 zusammen mit Emil Nolde und Max Pechstein im gleichen Museum ausgestellt worden ist. In einem fulminanten intermusealen Dialog zwischen Wuppertal und Hannover, mit Paris, auch mit München, Düsseldorf, Basel, Hamburg Base, Bernried und Saarbrücken ist es im Gemeinschaftsprojekt des von der Heydt-Museums und des Sprengel-Museums in Hannover gelungen, die „Schlüsselfiguren“ der Malerei des 20. Jahrhunderts in einer Ausstellung einander gegenüber zu stellen. Gleich zu Beginn im Katalog sind zwei Zeichnungen abgebildet, die die Maler in ihrer Unterschiedlichkeit charakterisieren. Picassos „sitzender Akt umgeben von Tier- und Menschen“ von 1927 zeigt den Menschen im Mittelpunkt seiner Thematik. Bei der zweiten Abbildung („Zauberspiegel“ aus 1946) scheint Max Beckmann den Blick vielleicht eher auf eine illusionäre Außenwelt zu richten. Picasso geht es in seinen Werken tatsächlich vorwiegend um sich selbst und um seine zahlreichen Frauen (116 Frauen in seinen Memoiren, 30 Geliebte neun Ehefrauen), die er alle gemalt und gezeichnet hat.
 
„Guernica“, bekanntlich als spanischer Beitrag für die Weltausstellung in Paris 1937 konzipiert, und die Friedenstaube, von der es eine auch in der Ausstellung zu sehen gibt, sind seine wichtigsten Reaktionen auf die Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Die Schrecken des 1. Weltkrieges hat Picasso bekanntlich künstlerisch weitgehend ausgeblendet, hat sich jedoch immerhin gegen Franco engagiert, wollte sich als Künstler für die höchsten Werte der Humanität und Zivilisation einsetzen. Max Beckmann dagegen wurde durch Grauen des 1. Weltkriegs geprägt. Er ist als freiwilliger Krankenpfleger und später als Sanitätssoldat an der Ostfront aktiv gewesen, zeichnete 1914 „Großer Operationssaal“ und „Große Operation“ (medizinhistorisch adäquat alle Dargestellten ohne Masken), sich selbst 1915 als Krankenpfleger und 1918 nach 20 Millionen Toten die Welt als „Irrenhaus“. Glaubte er anfänglich künstlerisch vom Krieg profitieren zu können, ging er im Endeffekt fast an ihm zu Grunde.
 

Blick in die Ausstellung - Foto © Frank Becker

Die Unterschiede der beiden Maler werden auch offensichtlich in ihren Selbstbildnissen: Während Max Beckmann immer in die Welt guckt, auch wenn er sich als Clown malt (1921), schaut Picasso konzentriert (1964) oder im Alter erschreckt (1964 aus dem Zyklus „Le peintre au traveil“) vor sich auf sein Werk. Seine überbordende Sexualität bis hin zur Pornographie im Alter ist nicht eindeutig zu interpretieren. Zum 50. Todestag hieß es in einer Laudatio, er sei ein „ausgesprochener Macho und Sexist“ und seine kubistischen wie multiperspektivischen „Fiktionen der Weiblichkeit“ gefallen noch heute. Alexander Leinemann behandelt in seinem Essay die Selbstsicht und Männlichkeit des Erotikers, der sich selbst natürlich gerne als Stier fühlt und darstellt. Vielleicht handelt es sich beim „Blinden Minotaurus, von einem Mädchen durch die Nacht geführt“ sogar um Selbstironie. Während bei Beckmann ca. 5% seines Gesamtwerkes Selbstbildnisse sind, sind von Picasso rund 150 Selbstbildnisse bekannt. Das wäre bezogen auf das Gesamtwerk deutlich weniger. Das Werkverzeichnis von Zervos enthält allein ca. 16.000 Abbildungen, faßt man alles zusammen und nimmt auch seine signierten Drucke dazu, dann kommt man auf nahezu 50.000 Werke. Reinhard Spieler schreibt, daß Picasso bewußt seinen Namen und nicht seine in den Selbstbildnissen verfremdete Physiognomie als „Marke Picasso“ entwickelt habe. Was hat Markenbildung, der Begriff aus der Wirtschaft, mit Kunst zu tun? Bei Picassos Kunst geht es künstlerisch doch eher um Linien und rhythmisierte Flächen, um Körper, deren Spaltung und Grenzen im Raum. Die prächtige Ausstellung im Von der Heydt-Museum hat die Werke in verschiedene Räume zusammengefaßt und einander gegenüber gehängt, so daß das „Gemeinsame und das Ähnliche“ (Essay von Roland Mönig) wie auch das Gegensätzliche ins Auge fällt. Der letzte große Raum der Ausstellung zeigt sozusagen kommentierend Meisterwerke der Klassischen Moderne aus der Wuppertaler Sammlung. Der Besuch der Ausstellung ist ausgesprochen anregend und man sieht oft vor Öffnung des Museums eine große Traube von Besuchern vor der noch geschlossenen Tür. 
 

Blick in die Ausstellung - Foto © Frank Becker

Im Katalog setzen sich renommierte Autoren mit beiden Malern unter Kategorien: „Selbst und Künstler“, „Mann und Frau“, „Mythos und Geschichte“, „Ding und Welt“ auseinander. Die Beiträge sind lesenswert und bieten Einblicke in die figurative Kunst der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Leider sind die vielen farblosen Abbildungen im Textteil oft klein (in Briefmarkengröße gedruckt) und bieten wie auch die farbigen Abbildungen nur notdürftig Orientierung. Immerhin gibt es im Katalog 60 Werke Picassos und 61 Beckmanns. Die Provenienzen der Werke, soweit bekannt, werden in dessen Werkverzeichnis angegeben. Die zweispaltig nebeneinander tabellarisch abgedruckten Biografien der beiden Künstler dienen der kurzen und schnellen Orientierung. Literaturhinweise werden Interessierten den Zugang zu weiterem Studium erleichtern.
 
Der Katalog erschien zur Ausstellung im von der Heydt-Museum Wuppertal (17.09.23 - 07.01.24)
Pablo Picasso/Max Beckmann: Mensch-Mythos-Welt Herausgegeben von Roland Mönig und Reinhard Spieler. Distanz-Verlag, 224 Seiten, gebundenes Buck, Zahlreiche Abbildungen in Farbe und in Schwarz-Weiß. Essays von Reinhard Spieler, Roland Mönig, Antje Birthälmer, Alexander Leinemann, Didier Ottinger, Olaf Peters - ISBN 978-3-95476-601-7, 40,- € (im Museum 32,- €)